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Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem sprengt

Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem s

In immer mehr Praxen sitzen derzeit Kinder, vor allem Kinder zwischen neun und fünfzehn Jahren, die funktionieren – bis sie plötzlich nicht mehr können. Es sind kluge, sensible und leistungsbereite Kinder, die in der Schule oft unauffällig wirken und zu Hause zusammenbrechen. Was sie zeigen, lässt sich kaum eindeutig benennen. Es ist zu diffus für eine Depression, zu kontrolliert für eine klassische Angststörung, zu impulsiv für ADS, zu sozial für Autismus – und doch tragen sie Anteile von allem in sich. Sie zeigen ein Ausschlagen in alle Richtungen: traurig, wütend, leer, gereizt, überfordert. Eine Generation von Kindern, deren Nervensystem dauerhaft auf Anschlag steht.





Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem s

Zwischen Versagensangst, Trennungsangst und stillem Zusammenbruch entfalten sich Bilder, die sich in ihrer Häufigkeit und Intensität alarmierend ähneln. Mädchen, die in der Schule funktionieren, gute Noten schreiben und alles richtig machen wollen, zeigen zu Hause ihr anderes Gesicht. Nach außen wirken sie stabil und angepasst, nach innen sind sie leer, erschöpft und haltlos. Trennungsängste, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Schwindel sind an der Tagesordnung. Es folgen Wut, Aggression und plötzlicher Kontrollverlust – ein Wechselbad aus Rückzug und Explosion. Während Eltern verzweifelt nach einer Diagnose suchen, schlagen die psychologischen Tests in alle Richtungen aus: Depression, Angst, emotionale Dysregulation, Verdacht auf ADHS, Verdacht auf Autismus. Doch keine Schublade passt.

Das, was sich hier zeigt, ist Ausdruck einer massiven Dysbalance zwischen innerem Erleben und äußerem Funktionieren. Kinder sind heute von klein auf konfrontiert mit einer Reizüberflutung, die kein Nervensystem langfristig kompensieren kann. Leistungsdruck, sozialer Vergleich und der permanente Blick auf die scheinbar perfekte Außenwelt erzeugen einen konstanten Stresszustand. Schon Grundschülerinnen vergleichen Noten, Körper, Beliebtheit und Followerzahlen. Ganze Klassen werden zu Triggerzonen, in denen sich Kinder gegenseitig unter Druck setzen, bewerten, über- oder unterfordern. TikTok, Pinterest, Instagram und Co. liefern den Dauerhintergrund eines Lebens, das ständig auf Bewertung basiert.


Schulen im Stillstand Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem sprengt

Während diese Kinder emotional ausbrennen, bleibt das Schulsystem weitgehend unbewegt. Anstatt Räume für Selbstregulation und emotionales Lernen zu schaffen, wird weiterhin auf Frontalunterricht, Leistungsmessung und Hausaufgabenflut gesetzt. Lehrkräfte sind selbst überfordert, fühlen sich allein gelassen und haben weder Zeit noch strukturelle Unterstützung, um emotional auffällige Kinder wirklich zu begleiten. Die Folge ist ein System, das selbst mitverursacht, was es anschließend pathologisiert.

Diese Kinder sind depressiv, aber nicht klassisch traurig. Sie sind ängstlich, aber nicht immer ängstlich. Sie sind aggressiv, aber nicht bösartig. Ihr Nervensystem ist dauerhaft übererregt, ihre innere Balance längst verloren. Sie reagieren auf ein Zuviel – an Reizen, Erwartungen, Emotionen, Leistungsdruck und digitalem Vergleich. Es ist keine klassische Krankheit im Sinne der ICD oder DSM, sondern ein kollektives Erschöpfungssyndrom der jungen Generation. Das, was sich therapeutisch zeigt, ist eine Art emotionaler Kurzschluss: Wut, Weinen, Rückzug, Aggression, Leistungsabfall.


Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem sprengt

Unsere Jugendlichen wachsen heute nicht mehr mit Pausen auf, sondern mit Dauerbeschallung. Sie erleben keine echte Ruhe, sondern Reizkaskaden. Sie haben kaum noch Rückzugsräume, in denen sie sich unbeobachtet selbst spüren können. Und gleichzeitig werden die Orte, die Halt geben könnten – Familie, Schule, Freundschaften – immer instabiler. Wir haben Kinder, die alles gleichzeitig sein müssen: leistungsstark, sozial, reflektiert, attraktiv, resilient, achtsam, digital kompetent und selbstverständlich glücklich. Kein Nervensystem kann diese Erwartungen dauerhaft tragen.

In der Therapie zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Kinder mit massiver emotionaler Dysregulation, obwohl sie kognitiv reif und reflektiert wirken. Sie passen sich übermäßig an und brechen innerlich zusammen. Sie zeigen ein überangepasstes Sozialverhalten und verlieren im nächsten Moment die Kontrolle. Sie spüren sich selbst kaum noch, nehmen aber feinste Stimmungen anderer wahr. Sie kämpfen mit Perfektionismus, Selbstabwertung und einer tiefen Angst vor dem Versagen. Nicht selten kommen somatische Symptome hinzu, die Ausdruck eines überforderten autonomen Nervensystems sind. Diese Kinder brechen nicht, sie laufen heiß.


Therapeutische Perspektive und aktuelle Studien

Aus psychotherapeutischer Sicht handelt es sich bei diesen Kindern um eine chronische Dysregulation des autonomen Nervensystems. Ihr Körper befindet sich zwischen Alarm und Erschöpfung. Das Gleichgewicht zwischen Sympathikus (Aktivierung) und Parasympathikus (Beruhigung) ist gestört – ein Zustand, den Stephen Porges in seiner Polyvagal-Theorie als "dauerhafte Bedrohungsaktivierung" beschreibt. Die Kinder können weder vollständig abschalten noch stabil aktiv sein. Ihre Regulation kippt, sobald der äußere Druck sinkt oder eine emotionale Überforderung einsetzt.




Aktuelle Studien bestätigen diese Beobachtungen. Die COPSY-Studie (Universität Hamburg, 2023) zeigt, dass jedes dritte Kind in Deutschland psychische Auffälligkeiten aufweist – Tendenz steigend. Besonders betroffen sind Mädchen im Jugendalter, die vermehrt depressive Symptome, Selbstwertprobleme und Erschöpfung zeigen. Die DAK-Kinder- und Jugendreport-Studie (2024) dokumentiert eine Zunahme von Angststörungen, Anpassungsproblemen und psychosomatischen Beschwerden um über 30 Prozent in den letzten fünf Jahren. Die WHO spricht inzwischen von einer „stillen Pandemie der psychischen Überlastung“ bei Jugendlichen in Industrieländern. Auch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) weist darauf hin, dass der soziale Druck in Schulen, der durch Notenvergleiche, Leistungsranking und mediale Selbstdarstellung verstärkt wird, zu einem zentralen Risikofaktor geworden ist. Kinder erleben sich nicht mehr als genug, sondern als konstant bewertet – durch Lehrer, Mitschüler und Algorithmen.


Die stille Explosion

Wir erleben derzeit keine Einzelstörung, sondern eine kollektive Entgleisung des kindlichen Nervensystems. Es betrifft längst nicht mehr nur „auffällige“ Kinder, sondern zunehmend auch diejenigen mit bereits bestehenden Diagnosen wie ADHS, Autismus oder Angststörungen. Viele dieser Kinder entwickeln in den letzten Jahren zusätzliche Symptome, die nicht mehr ins klassische Raster passen. Sie zeigen depressive Verstimmungen, emotionale Überreaktionen, extreme Erschöpfung oder aggressive Ausbrüche – und das, obwohl sie bereits therapeutisch angebunden sind. Die Komorbiditäten nehmen zu, die Übergänge zwischen Störungen verschwimmen.

Diese Kinder befinden sich in einem Dauerzustand innerer Anspannung. Ihr Gehirn reagiert nicht mehr differenziert auf Stressreize, sondern mit einer Art Generalantwort – alles fährt gleichzeitig hoch. Konzentration, Schlaf, Emotionen, Impulskontrolle, Selbstwahrnehmung: alles aus der Balance. Was früher klar voneinander getrennte Störungsbilder waren, verschmelzen heute zu einem neuen Gesamtphänomen, das sich weder eindeutig therapieren noch medikamentös einordnen lässt.


Die neue psychische Krankheit bei Kindern: Wenn Überforderung das Nervensystem s

Therapeutisch gesehen erleben wir eine hybride Form psychischer Dysregulation, die sich aus der Kombination biologischer Vulnerabilität, digitaler Reizüberflutung und gesellschaftlichem Druck speist. Kinder mit ADHS geraten dadurch noch schneller in Überforderung, autistische Kinder verlieren ihre Routine und ihre Stabilität, hochsensible Kinder brennen aus, bevor sie überhaupt gelernt haben, wie man sich schützt.

Vielleicht braucht diese Entwicklung tatsächlich einen neuen Namen – etwas, das beschreibt, was hier entsteht: eine multifaktorielle Dysregulationsstörung der modernen Kindheit, oder kürzer: ein neuropsychisches Erschöpfungssyndrom. Es wäre der zeitgemäße Ausdruck für eine Generation, die nicht krank geboren wurde, sondern krank gemacht wird – durch Überforderung, Dauerbewertung, digitale Überstimulation und emotionale Vereinsamung.

Vergleichbar war in dieser Dimension kaum etwas. In den 1980er- und 1990er-Jahren sah man vereinzelt Anpassungsstörungen oder Burnout-ähnliche Symptome bei Jugendlichen, aber nie mit dieser Dichte, nie mit dieser Gleichzeitigkeit, nie mit dieser Schärfe. Heute sind ganze Klassengemeinschaften betroffen – und die Systeme, die schützen sollten, reagieren zu langsam.


Wenn man will, könnte man sagen: Wir erleben die erste Generation mit einem kollektiven Regulationsverlust. Eine Generation, die zu früh zu viel weiß, zu wenig spürt und zu selten gehalten wird. Es ist nicht mehr das einzelne Kind, das auffällt – es ist eine gesamte Entwicklung, die kippt.


Diese „neue psychische Krankheit“ ist kein Etikett, sondern ein Warnsignal. Sie zeigt, dass die psychische Stabilität von Kindern kein individuelles Thema mehr ist, sondern ein gesellschaftliches Symptom.


Und was jetzt?

Diese Kinder zeigen ein komplexes, multifaktorielles Störungsbild mit deutlicher Beeinträchtigung der Affektregulation. Depressive und generalisierte ängstliche Symptome treten häufig kombiniert auf, begleitet von ausgeprägter Reizbarkeit, Stimmungslabilität und psychosomatischen Beschwerden. Es handelt sich nicht um vorübergehende Belastungsreaktionen, sondern um eine tiefgreifende Dysregulation des autonomen und emotionalen Systems.



Erforderlich ist eine psychologische und psychotherapeutische Intervention, die über verhaltenstherapeutische Ansätze hinausgeht. Ziel ist nicht die Korrektur einzelner Verhaltensweisen, sondern die Wiederherstellung der Selbstregulationsfähigkeit. Dazu gehören Methoden, die auf Körperwahrnehmung, emotionale Integration, Stressreduktion und Stabilisierung zielen.

Kinder mit bestehenden Diagnosen wie ADHS oder Autismus zeigen in diesem Kontext eine erhöhte Vulnerabilität. Unter anhaltender Belastung entwickeln sie häufig sekundäre depressive oder ängstliche Symptomkomplexe, die sich von der Grunderkrankung funktional abkoppeln. Entscheidend ist hier die kontinuierliche psychotherapeutische Begleitung, um eine Chronifizierung der Dysregulation zu verhindern.

Insgesamt spricht das klinische Bild für ein sich entwickelndes neuropsychisches Erschöpfungssyndrom bei Kindern und Jugendlichen, das eine systematische diagnostische Erfassung und interdisziplinäre Behandlung erfordert.






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