Die Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED): Wenn das Sprechen zur Herausforderung wird!
- Eva Tam -Systemische Kinderpsychotherapie

- 13. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Mai

Manche Kinder wollen sprechen – aber die Worte kommen nicht richtig heraus. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil ihr Gehirn die Bewegungen für das Sprechen nicht präzise steuern kann. Diese sprachliche "Blockade" hat einen Namen: Verbale Entwicklungsdyspraxie (englisch: Verbal Developmental Dyspraxia, kurz VED).
Was genau ist VED?
VED ist eine neurologisch bedingte Sprechstörung. Betroffene Kinder wissen, was sie sagen möchten – aber sie schaffen es nicht, die dafür nötigen Bewegungen von Zunge, Lippen und Kiefer korrekt auszuführen. Dadurch entstehen Laute, die undeutlich, falsch oder gar nicht ausgesprochen werden. Die Folge: Die Sprachentwicklung verläuft deutlich verzögert, oft mit großem Frust für das Kind – und seine Familie.
Das Besondere: Die kognitiven Fähigkeiten dieser Kinder sind meist völlig altersgerecht. Es ist kein Sprachverständnisproblem, sondern ein motorisches.
Typische Anzeichen – woran erkennt man VED?
Wörter werden verzerrt oder unverständlich ausgesprochen
Das Kind hat Mühe, Laute gezielt zu wiederholen
Sprachproduktion wirkt angestrengt oder stockend
Sätze bleiben kurz, Sprache entwickelt sich langsam
Manche Laute werden ausgelassen oder vertauscht
In emotional belastenden Situationen verschlechtert sich die Aussprache deutlich
Eltern beschreiben oft, dass ihr Kind "wie blockiert" wirkt, wenn es sprechen möchte. Diese Blockaden sind nicht psychisch bedingt – sie liegen im neuromotorischen System.
Mehr als nur Sprache: Schluckstörungen bei VED
Was viele nicht wissen: Die gleichen Muskeln, die fürs Sprechen gebraucht werden, sind auch fürs Kauen, Schlucken und Abhusten zuständig. Deshalb leiden viele Kinder mit VED zusätzlich unter oralen Koordinationsproblemen:
Schwierigkeiten beim Schlucken von Nahrung oder Getränken
Verschlucken oder Husten beim Essen
Probleme, Schleim bei Erkältungen abzuhusten
Gerade in der Erkältungszeit kann das schnell belastend werden – für das Kind und seine Gesundheit.
Was steckt hinter VED? Ein Blick ins Gehirn
VED entsteht durch frühkindliche Störungen im Gehirnbereich, der für die Planung und Koordination von Bewegungen verantwortlich ist. Die genaue Ursache ist nicht immer eindeutig, aber als mögliche Auslöser gelten:
genetische Veranlagungen
Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen
frühkindliche Hirnschädigungen
andere Entwicklungsstörungen des zentralen Nervensystems
Besonders betroffen ist das sogenannte motorische Planungszentrum – es ist für präzise Bewegungsabfolgen zuständig, etwa beim Sprechen, Schlucken oder Kauen. Deshalb treten die Symptome oft kombiniert auf.
Welche Therapie hilft wirklich?
Standardsprachtherapie reicht bei VED oft nicht aus – denn es geht nicht nur ums Üben von Lauten, sondern um neuromotorische Reorganisation. Erfolgreiche Ansätze setzen gezielt an der Wurzel an:
1. Castillo Morales®-Therapie
Diese Methode kombiniert sensomotorische Übungen mit gezielter Mund- und Gesichtsstimulation. Ziel ist es, die Muskelkoordination zu verbessern – sanft, spielerisch und ganzheitlich.
2. KoArt®-Therapie
KoArt steht für Koordinierte Artikulation. In dieser Methode werden Sprache und Bewegung eng verknüpft trainiert – besonders hilfreich bei schwereren Verläufen, in denen auch das Schlucken oder Atmen betroffen ist.
3. VEDIT-Therapie
Diese speziell auf VED abgestimmte Therapie fördert gleichzeitig Sprechmotorik und Lautbildung – mit individuell angepassten Übungen, die Spaß machen und motivieren. Auch Eltern werden hier oft eng eingebunden.
Psychologische Begleitung – und warum sie so wichtig ist
Kinder mit Verbaler Entwicklungsdyspraxie (VED) haben eine normale Intelligenz. Sie wissen genau, was sie sagen möchten – aber ihr Körper bringt die Wörter nicht so über die Lippen, wie sie es sich wünschen. Diese ständige Diskrepanz zwischen innerem Wissen und äußerem Ausdruck führt oft zu großem seelischem Stress.
Viele Kinder mit VED erleben frühe Frustration, Versagensängste und ziehen sich sozial zurück. Nicht selten entwickeln sie ein geringes Selbstwertgefühl, weil sie merken, dass sie anders sprechen als Gleichaltrige – und dabei oft missverstanden werden.
Was die Situation zusätzlich erschwert: Die Diagnose wird häufig spät gestellt.
VED ist eine seltene und komplexe Störung, die nur von erfahrenen Logopäd:innen oder Neurolog:innen zuverlässig erkannt werden kann. In Deutschland gibt es jedoch kaum Fachleute, die auf diesem Spezialgebiet geschult sind – und viele Therapien greifen zu kurz, weil sie auf VED nicht abgestimmt sind.
Oft zeigt sich zusätzlich auch eine körperliche Dyspraxie – also eine allgemeine Störung der Bewegungsplanung – die von Kind zu Kind unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Das ist kein Zufall: Denn Sprach- und Bewegungszentrum liegen im Gehirn eng beieinander. Beeinträchtigungen in der einen Funktion gehen häufig mit Problemen in der anderen einher.
Umso wichtiger ist ein interdisziplinärer Ansatz, der nicht nur Logopädie und Ergotherapie umfasst, sondern auch eine psychologische Begleitung.
Denn VED betrifft weit mehr als nur das Sprechen – es beeinflusst das gesamte Erleben des Kindes.
Eine einfühlsame psychotherapeutische Unterstützung kann:
das Selbstwertgefühl stärken
emotionale Belastungen abfedern
helfen, mit Frust und Misserfolgen umzugehen
soziale Ängste reduzieren
und den Weg zu mehr Selbstvertrauen ebnen
Der geschützte Raum, den die Therapie bietet, ist für viele Kinder mit VED ein Ort des Aufatmens: Hier dürfen sie so sein, wie sie sind – ohne Druck, ohne ständige Korrekturen, ohne Bewertung.
In Deutschland besteht ein gravierendes Versorgungsdefizit:
Die verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) ist hierzulande noch immer wenig bekannt – selbst unter Fachkräften. Viele Lehrkräfte, inklusive Förderpädagog:innen, hören zum ersten Mal von dieser Störung, wenn sie einem betroffenen Kind begegnen. Während in Ländern wie den Niederlanden VED als anerkannte Teilleistungsstörung gilt und gezielte schulische Fördermaßnahmen selbstverständlich sind, fehlt es in Deutschland an systematischer Aufklärung, Diagnosekompetenz und therapeutischer Versorgung.
Ein zentrales Problem: Kinder mit VED werden schulisch häufig falsch eingeordnet. Dabei sind diese Kinder nicht kognitiv eingeschränkt – im Gegenteil, viele von ihnen sind sehr intelligent und wissbegierig. Doch weil ihre verbale Ausdrucksfähigkeit stark beeinträchtigt ist, landen sie häufig entweder im Förderschwerpunkt Motorik, wo die sprachliche und kognitive Förderung zu kurz kommt, oder im Förderschwerpunkt Sprache, der ihre komplexen motorischen Schwierigkeiten nicht abdeckt.
Hilfsmittel wie Talker oder unterstützte Kommunikation werden dort, wo sie nötig wären, oft nicht eingesetzt, weil sie institutionell eher dem Bereich Motorik zugeordnet werden. So fallen viele Kinder durch das Raster – obwohl ihr Förderbedarf klar erkennbar wäre, wenn das Störungsbild bekannter wäre. Es fehlt an individuellen, interdisziplinären Förderkonzepten, die Sprache, Motorik und Kognition gleichermaßen berücksichtigen.
Fazit
Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) ist eine komplexe neurologische Störung, die weit über die reine Sprachentwicklung hinausgeht. Sie betrifft die feinmotorische Koordination der Sprechmuskulatur und ist häufig mit weiteren motorischen Einschränkungen wie Schluckstörungen oder allgemeiner Dyspraxie verbunden. Diese Symptome treten insbesondere in Belastungssituationen – etwa bei Erkältungen – verstärkt auf, da dann die ohnehin gestörte Muskelkoordination zusätzlich gefordert wird.
Standardtherapien reichen hier nicht aus!!
Um eine tatsächliche Verbesserung zu erzielen, sind spezialisierte Methoden wie Castillo Morales, VEDIT oder KoArt in der Logopädie notwendig – Therapieformen, die gezielt auf die neuromotorischen Besonderheiten dieser Kinder eingehen.
Auch psychotherapeutische Begleitung ist in vielen Fällen unverzichtbar, um die emotionale Belastung abzufedern und die kindliche Resilienz zu stärken.
Erfolgsaussichten und aktuelle Forschung
Die gute Nachricht: Mit intensiver, individuell angepasster Therapie lassen sich deutliche Fortschritte erzielen – insbesondere, wenn die Diagnose früh gestellt wird und alle relevanten Fachdisziplinen Hand in Hand arbeiten. Studien und Fallberichte zeigen, dass viele betroffene Kinder im Laufe der Jahre eine weitgehend verständliche, wenn auch häufig ungewöhnlich klingende Sprache entwickeln können. Die Artikulation bleibt oft etwas angestrengt oder stockend, manche Laute werden lebenslang schwerer fallen – doch Kommunikation wird möglich.
Die Forschung zu VED steckt im deutschsprachigen Raum noch in den Anfängen. Internationale Studien, insbesondere aus Australien, den USA und Skandinavien, belegen jedoch, dass frühzeitige und intensive Förderung, am besten vor dem 5. Lebensjahr, die besten langfristigen Prognosen bietet. Entscheidend ist die Kombination aus funktioneller Mundmotoriktherapie, gezielter Sprachförderung und psychologischer Unterstützung – angepasst an die individuellen Ressourcen des Kindes.
Ein realistischer Ausblick
Eltern sollten wissen: Eine vollständige "Heilung" im klassischen Sinn ist bei VED selten – aber ein Leben mit Sprache ist möglich. Kinder mit VED entwickeln oft ihre ganz eigene Art zu sprechen. Die Sprache klingt möglicherweise weniger flüssig, manchmal etwas verlangsamt oder durchsetzt mit vereinfachten Lautfolgen.
Aber: Sie wird verständlich – und damit sozial anschlussfähig. Und genau das ist entscheidend für die Lebensqualität, die emotionale Entwicklung und das Selbstvertrauen dieser Kinder.
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VED - Verbale Entwicklungsdyspraxie: Wenn Kinder nicht oder kaum verständlich sprechen (Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute)
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Dankeschön- unser Sohn zeigt die ähnliche Problematik- wir werden demnächst im SPZ vorstellig. Werde hier öfter mal reinschauen! 👍
Sehr gute Zusammenfassung! Das mit den Schluckstörungen wusste ich noch nicht!